Abriss oder Besetzung?

Direkte Aktion als stadtpolitisches Mittel

Was ist Direkte Aktion?

Mit Direkter Aktion bezeichnen wir eine kollektive Handlung, durch die möglichst unmittelbar ein gemeinsames Bedürfnis befriedigt werden kann. Der klassische Fall einer Direkten Aktion ist der Streik für kürzere Arbeitszeiten oder mehr arbeitsfreie Tage. Hier haben sich Arbeiter*innen zusammengeschlossen und ein Bedürfnis nach weniger Arbeitszeit durch das gemeinsame Fernbleiben von der Arbeit befriedigt.

Schnell hat die Direkte Aktion jedoch auch andere Formen angenommen: die Blockade von Baustellen, um die Errichtung einer Pipeline zu verhindern; Mietstreiks, bei denen die Mieter*innen koordiniert aufhören, Miete zu zahlen und so der Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum unmittelbar befriedigen können; die Sabotage von Waffen um eine Mobilisierung für einen Krieg zu verhindern, der Freund*innen das Leben kosten würde. Bei der Direkten Aktion geht es nicht um Legalität, sondern um Legitimität. Um aktiv zu werden brauchen die Menschen einer Stadt weder Staat noch Partei. Sie können sich verbünden, über ihre Interessen und Wünsche austauschen und gemeinsam handeln.

 

Warum ist sie legitim im Fall der Fachhochschule?

Die Mittel, die im Rahmen der Parteipolitik in der Stadt offenstehen, wurden ausgeschöpft. Durch sie kann ein Abriss der Fachhochschule nicht mehr verhindert werden. Der deutlich vorhandene Wille, das Gebäude zu erhalten und weiterzunutzen, der im Bürger*innenbegehren mit fast 15.000 Unterschriften seinen Ausdruck gefunden hat, wurde ignoriert. Die vielfältige Ressource des FH-Gebäudes – als großzügiger öffentlich nutzbarer Raum im Herzen der Stadt – geht durch Abriss, Privatisierung und gewinnorientierte Nutzung verloren.

Da also offenbar das Bedürfnis nach einem von allen Menschen nutzbaren Raum vorhanden ist und es mit der Fachhochschule ein Gebäude gibt, das dieses Bedürfnis befriedigen kann, ist für uns die Direkte Aktion die angemessene Handlungsform zur gemeinsamen Verwirklichung dieser Interessen. Vor dem Hintergrund des geplanten Abrisses gibt es aus unserer Sicht nur noch zwei Alternativen: Aufgeben oder Besetzen! Menschen in Potsdam können sich zusammenschließen, um die Vernichtung einer Ressource zu verhindern und deren Nutzung selbst zu organisieren. Abseits von historischer Verklärung und Profitinteressen kann so ein den Bedürfnissen der Menschen in Potsdam entsprechender Umgang mit dem Gebäude unmittelbar selbst ins Werk gesetzt werden. Der mit einer Besetzung geöffnete Raum kann dabei auch die Freiheit bieten, Wünsche für die Stadt zu entwickeln.

Direkte Aktionen wie eine solche Besetzung sind soziale und kommunikative Vorgänge, die im Alltag von Lohnarbeit, Schule, Studium oder Jobcenter nicht vorkommen. Dort verinnerlichen wir Vereinzelung und Konkurrenzdenken statt gemeinschaftlichem Handeln. Die Praxis der Direkten Aktion kann Früchte tragen, auch weit über den Fall der Fachhochschule und der Potsdamer Mitte hinaus.

 

Was Potsdam sich eigentlich vorgenommen hatte

„Der Magistrat wird beauftragt

(1) energische Anstrengungen zu unternehmen, dem weiteren
Verfall der verbliebenen echten historischen Bausubstanz Einhalt
zu gebieten.

(2) eine langfristige, die Jahrtausendwende überschreitende
Konzeption für eine von Verantwortung getragene behutsame
Wiederannäherung an das charakteristische, historisch
gewachsene Stadtbild zu entwickeln“

– Beschluss der Stadtverordnetenversammlung 24.10.1990

Die Erneuerung muß mit den Bewohnern und Gewerbetreibenden zusammen geplant und realisiert werden. Die Erneuerung muß sich an den Bedürfnissen der jetzigen Bewohner und den gesellschaftlich erreichbaren und erwünschten Lebensqualitäten orientieren, also an den
Ansprüchen (…) auf eine gute soziale Infrastruktur und ein allen
Altersgruppen gerechtes Freiraumangebot“

„Vorhandene Strukturen werden grundsätzlich genutzt und nicht zerstört“

„Die Identifikation wird durch Selbstorganisations- und Selbsthilfeinitiativen unterstützt, die zu fördern sind“

„Nur in begründeten Ausnahmefällen dürfen Abrisse zugelassen
werden. Die soziale Infrastruktur muß erneuert und ausgebaut
werden. Sie soll ein breites Spektrum bieten und auf besondere
Bedarfslagen ausgerichtet sein“

Über Planung und Durchführung der Maßnahmen mußöffentlich diskutiert und entschieden werden. Daher müssen die Betroffenenvertretungen gestärkt und vor Ort tagende Entscheidungsgremien eingerichtet werden, in denen
entscheidungsbefugte Vertreter der beteiligten Behörden
kontinuierlich mitwirken.“

– aus: „Zwölf Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung in Potsdam“, welche Anfang der 1990’er Jahre für die Anwendung in den Sanierungsgebieten formuliert wurden.

„Trotz der hohen Verluste an historisch und künstlerisch
hochwertiger Bausubstanz kann angesichts der seit Jahrzehnten
andauernden großflächigen Zerstörung und des Umbaus der
Stadt die Hauptaufgabe der kommunalen Denkmalpflege-
Behörde nicht in dem Nachbau ganzer Stadtteile sowie einzelner
Großbauten bestehen. Geschichte, so schmerzlich sie auch
gewesen sein mag, ist nicht „wegbaubar“. (…) Das Errichten von Gebäudekopien darf nur auf wenige Ausnahmen, z.B. auf das Ergänzen bedeutender Ensembles, beschränkt bleiben. Vordringliche Aufgabe der Denkmalpflege ist die Bewahrung der Originalsubstanz, denn nur sie allein besitzt den realen Zeugniswert der in Architektur zum Ausdruck gelangten Geschichte!

– Leitlinien für Denkmalpflege in Potsdam, 1991

Zurück zur Behutsamkeit – die Abrisse stoppen!