Schriftliches Statement von „Bitte stehen lassen!“ auf der Pressekonferenz vom 16. Juli 2017:
„So wenig wie irgendwer sonst kann die Gruppe „Bitte stehen lassen!“ für alle Besetzer*innen der Fachhochschule sprechen. Wir möchten daher lediglich als ein Teil der Bewegung für den Erhalt und die Weiternutzung des Gebäudes unsere Einschätzung von den Ereignissen des vergangenen Donnerstags geben.
Wir sind enttäuscht vom kleingeistigen und freiheitsfeindlichen Umgang der sogenannten Verantwortungsträger*innen – darunter die Leitung der Fachhochschule sowie der stellvertretende OB – mit der Besetzung des Gebäudes. Mit der Räumung der FH wurde eine Chance verspielt, neue, kollektive Nutzungsformen öffentlicher Räume Wirklichkeit werden zu lassen. Von Sportgruppen über Ausstellungen und Musiker*innen bis zu Lesekreisen und Kinderbetreuungsgrupen wurden bereits im Vorfeld der Besetzung dringende Wünsche nach einer Erschließung der Räumlichkeiten artikuliert. Die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln mit der direkten Befriedigung solcher Bedürfnisse ohne Vermittlung durch Geld und Tausch wurde zerschlagen. Dieses Zerstörungswerk ist nicht nur ein Angriff auf die Menschen, die diesen Raum erhalten wollen, sondern auch auf die gesamte Gesellschaft und die progressiven Teile der Wissenschaft in Potsdam. Für wen tragen diese Amtsinhaber*innen eigentlich „Verantwortung“? Oder sollen wir besser fragen: Für wessen Geld und Interessen tragen sie Verantwortung?
Weiterhin sind wir erschüttert von der Rücksichtslosigkeit, mit der die Polizei gegen die Besetzer*innen und die Unterstützer*innen vor dem Gebäude vorgegangen ist. Zu keinem Zeitpunkt ging irgendeine Bedrohung von den Besetzer*innen aus und die Bereitschaft zur Kooperation mit den derzeitigen Nutzer*innen war in einem offenen Brief klar mitgeteilt worden. Dennoch wurden Besetzer*innen und Demonstrant*innen mit Faustschlägen, Stiefeltritten, Schmerzgriffen und Pfefferspray aus dem Weg geräumt. Nach der Räumung wurden zahlreiche Besetzer*innen demütigenden Verfahren zur Durchsuchung ausgesetzt. Hier von Deeskalation zu sprechen ist schon deshalb völlig irreführend, weil es an jeglicher Eskalation vonseiten der Besetzer*innen gefehlt hat.
Sehr wundern müssen wir uns zudem über zwei vielfach geführte Argumente. Einerseits das der Alternativlosigkeit: Angeblich hätte es keine Alternative zur Räumung gegeben. Dabei war die FH-Leitung zu keinem Zeitpunkt dazu verpflichtet, Strafantrag zu stellen. Ob dieses Argument auf Verlogenheit oder mangelnder Vorstellungskraft fußt, es weckt jedenfalls kein Vertrauen in die getroffenen Entscheidungen. Andererseits ertönt das Argument, eine Besetzung sei in irgendeiner Weise undemokratisch. Es waren jedoch Direkte Aktionen von weit größerer Radikalität, mit denen Wahlen und Parlamente erst erkämpft werden mussten. Es zeugt von besorgniserregender Ignoranz, wenn Parlamente und Rechtsstaat für die einzigen Formen von Demokratie gehalten werden. Wir lehnen diese Vorstellung ab, da sie auf der Fiktion beruht, ganz unterschiedliche Anliegen und Betroffenheiten könnten durch das abstrakte Mittel des Stimmzettels abgebildet werden. So stehen sie bedürfnisgerechten Entscheidungen eher im Weg, wie das Beispiel der Fachhochschule eindrucksvoll unter Beweis stellt. Wer inklusive Bürgerbegehren ablehnt, hat nicht verstanden, was „demokratisch“ bedeutet. Wer Menschen kriminalisiert, die diese Stadt aktiv im Sinne des Gemeinwohls gestalten wollen und die dafür auch bereit sind, ihr eigenes Wohlergehen auf’s Spiel zu setzen, der muss sich nicht wundern, wenn er eines Tages in einer Diktatur erwacht. Unser Ideal hingegen ist Gesetz und Freiheit ohne Gewalt.
Es bleibt uns zu sagen, dass die Besetzung, so schnell ihr am vergangenen Donnerstag ein Ende bereitet wurde, für uns einen Anfang und kein Ende darstellt. Die große Unterstützung vieler Menschen in Potsdam für das Anliegen der Besetzer*innen ist schon am Donnerstag, aber auch in den letzten Tagen auf dem Protestcamp am Alten Markt immer wieder deutlich geworden. Wir haben keine Zweifel, dass sich diese Unterstützung in den kommenden Monaten in allen erdenklichen Formen Bahn brechen wird. Wir sehen im Streit um die Fachhochschule einen Bestandteil des Kampfes für ein schönes Leben für alle. Und den geben wir nicht auf.“